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Kulturtipp: Hinschauen statt wegschauen

Wegschauen verboten - das politische Bilderbuch

 

 

 

Mehrdad Zaeri: Menschenpflichten Art. 10 und Art. 11

Besondere Bilderbücher in der Galerie

Sie gewähren freien Zugang zu Bildung, Wissenschaft, Poesie, Literatur, Humor, Propaganda und Kritik. Bücher. Nicht umsonst gilt der Buchdruck als eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit. Bücher können die Welt verändern, was ihnen im Laufe der Geschichte viel Ärger eingebracht hat. Sie wurden verteufelt, sie wurden verbrannt, sie werden ersetzt. Und doch sind sie immer noch da, allen Widrigkeiten zum Trotz. Oder vielleicht auch gerade deswegen. Die Städtische Galerie Rosenheim widmet jetzt einer ganz speziellen Buchform eine eigene Ausstellung. „Wegschauen verboten – das politische Bilderbuch“. Ein Gespräch mit der Galerieleiterin Monika Hauser-Mair.

Stina Wirsen: Geschichten von Bodri, Skizzen
Benjamin & Christine Knoedler: Young Rebels, Greta Thunberg © Carl Hanser Verlag

Frau Hauser-Mair, wegschauen verboten – warum würde man denn bei einem Buch wegschauen?

Es geht nicht darum, bei einem Buch wegzuschauen, es geht um die Inhalte, die die Bücher bzw. die von uns in der Ausstellung gezeigten Illustrationen aufgreifen. Es handelt sich um Themen, die uns alle angehen, die uns jeden Tag umgeben und über die in den Nachrichten stündlich berichtet wird.

Krieg, Flucht, Vertreibung, Rassismus: Es sind Berichte, die wir oftmals kaum noch aushalten wollen, vor denen wir die Augen am liebsten verschließen würden. Jedoch gehen uns diese Themen etwas an, sie sollen uns bewegen und hoffentlich auch etwas in uns bewirken. Die Bilderbücher zeigen die Welt, in der wir leben.

Darüber hinaus machen die Geschichten in den Büchern aber auch sichtbar, wie eine anderer Umgang miteinander aussehen könnte, wie Konflikte durch Kommunikation gelöst, wie Ängste durch Wissen überwunden werden könnten.

Die Bücher zeigen uns auch eine Welt, in der wir gerne leben wollen! In einer Welt, in der das Ankommen, die Verständigung, das Knüpfen neuer Freundschaft über das Zornige und Wütende siegt.

Mit Bilderbüchern verbinden wir eher etwas Kindliches. Grüne, nimmersatte Raupen beispielsweise. Was macht das politische Bilderbuch aus? Behält es seine Kindlichkeit?

Die Themen, die im politischen Bilderbuch vorkommen, sind der Brennspiegel der Welt die uns umgibt. Die Menschen und Figuren, die hier auftreten, kämpfen gegen Rassismus, Antisemitismus, Gewalt und Armut. 

Sie erleben Verlust, aber auch Liebe und Hoffnung. Die Figuren sind traurig, oftmals voller Zweifel, aber auch mutig und voller Zuversicht. Die Illustrationen sprechen also eine deutliche Sprache.

In unserer Ausstellung „Wegschauen verboten!“ sind Bücher für Kinder zu finden, aber auch viele Bilderbücher für ältere Generationen. Kindlichkeit bedeutet Offenheit, Fröhlichkeit, Vorurteilslosigkeit. Kindlichkeit steht für offene Herzen. Und diese Offenheit den Themen gegenüber wünschen wir uns doch in allen Generationen.

In den 1980er Jahren veröffentlichte Art Spiegelmann ein Comic, in dem er die Geschichte seines Vaters erzählte. In „Maus – Die Geschichte eines Überlebenden“ schildert er, wie sein Vater Ausschwitz erlebt und überlebt hat. Damals gab es eine hochemotionale Debatte, ob sich Comics eines solch komplexen Themas überhaupt annehmen dürfen*. Dürfen sich Bilderbücher politischer Themen annehmen, ohne sie zu verniedlichen?

 

Nadia Budde: Und außerdem sind Borsten schön © Peter Hammer Verlag

Die Kunstwerke, die für die Bilderbücher geschaffen werden, verniedlichen nicht. Das würde ja sonst bedeuten, dass die Künstlerinnen und Künstler sowie die Autorinnen und Autoren der Bücher ihre Leserinnen und Leser nicht ernst nehmen würden.

Je älter die Leserschaft wird umso komplexer wird die Welt wahrgenommen, soziale Interaktionen entstehen, das Selbstbild wird schärfer. Immer komplexere Herausforderungen bestimmen das tägliche Leben der Heranwachsenden und großen Menschen, den Erwachsenen. Bei diesen Herausforderungen helfen ihnen die jeweiligen altersgerechte Geschichten in den Bilderbüchern.

Bei Bilderbüchern steht – wie der Name ja impliziert – das Bild im Vordergrund. Welche künstlerische Bandbreite ist in der Städtischen Galerie zu sehen?

Wir zeigen mit unseren Ausstellungen die Kunstform Bilderbuch als ein ernst zu nehmendes künstlerisches Medium, das Kunst und Literatur für große und kleine Menschen auf hohem Niveau zu verbinden vermag – und das bereits zum 7. Mal hier in der Städtischen Galerie Rosenheim.

Dabei gelingt uns erneut eine herausragende Zusammenführung international bedeutender Illustratorinnen und Illustratoren. Die Techniken, die es bei uns zu entdecken gibt, gehen von Bleistiftzeichnungen, über Farb-, Filz- und Tuschezeichnungen bis hin zu Aquarellen und Gouachemalerei. Und vermehrt arbeiten die Künstlerinnen und Künstler digital – es gibt dann nicht wirklich das Original, aber hier dann wiederum Vorzeichnungen und Skizzen.

Bernardo Carvalho und Isabel Minhós Martins: Hier kommt keiner durch © Klett Kinderbuch
Jens Rassmus: Juhu, Letzter! Die neue Olympiade der Tiere © G&G Verlag

Wir sind eingangs auf die Bedeutung von Büchern eingegangen. Welchen Stellenwert hat das politische Bilderbuch in Ihren Augen in Zeiten von Social Media, Internetinformation und digitalen Angeboten?

Diese Bilderbücher öffnen die Augen. Sie weiten den Blick. Und sie sagen uns, dass das Wegschauen keine Option ist. Wir müssen Hinschauen und Handeln, um die Welt jeden Tag ein bisschen besser zu machen.

Vielen Dank, Frau Hauser-Mair. „Wegschauen verboten – das politische Bilderbuch“ ist vom 11.Dezember 2022 bis zum 16. April 2023 in der Städtischen Galerie Rosenheim zu sehen. Weitere Informationen gibt´s unter https://galerie.rosenheim.de.

 

*Im Jahr 1992 wurde Art Spiegelmann für „Maus“ als erster Comic-Autor überhaupt mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Titelbild: Mehrdad Zaeri: Menschenpflichten Art. 10 und 11, © Büchergilde Gutenberg